Donnerstag, 6. Februar 2014
Skianzüge und Maiskolben
“...und du mußt dich gar nicht wundern, daß die Frau, der du vier Jahre lang Briefe geschrieben, wobei du dich jedesmal mühtest, ganz hinein in das gefaltete Papierdreieck zu schlüpfen, daß diese Frau nicht verstehen kann, wieso du ihr aus Deutschland nicht eine Wagenladung Plunder mitgebracht hast, sondern nur eine Uhr im Stahlgehäuse erbeutet und einen alten Photoapparat, den du an die Wand des Zimmers hängst, in dem du geboren und aufgewachsen bist, wofür du einen Nagel in die neue Tapete schlagen mußtest, in das rosa Muster, das bald schon deine ganze Umgebung überziehen wird, einstweilen nur gelegentlich auf der Netzhaut deines linken Auges erscheint, erst nach dem dritten Wodka, dessen Geruch sie die Nase rümpfen läßt, weil sie nicht begreift, daß ein Mensch seine Vergangenheit vergessen können muß, will er sein Leben weiterleben, in dem es gilt, der dreisten Angestellten aus der Kaderleitung mit einem Lächeln zu kommen, zur Prüfung die Kriegsorden anzulegen und ab und zu ein paar Fliederzweige mit nach Hause zu bringen, die an Vorkriegstinte denken lassen oder aber an ein Maifeuerwerk für alles, was lebt, sofern es das in dieser Stadt überhaupt noch gibt, die für Lastwagen besser geeignet ist als für Menschen, besonders kleine, die Nächte hindurch brüllen in ihren Bettchen, während sie entweder auf die an der Zimmerdecke entlangwandernden Lichtquadrate starren oder in das Gesicht der Mutter, bemalt mit Lippenstift und Wimperntusche, die irgendwelche Gauner auf dem Bahnhofsvorplatz ihr angedreht haben, wo neuerdings unglaubliche, einem Traum entwichen scheinende himmelblaue Pobeda-Limousinen kreuzen und die Fenster in den Häusern heimelig erleuchtet sind, glauben machend, daß nie wiederkommt, was war, oder andersrum gesagt, daß alles vorbei ist und nichts von dir übrigbleibt als das, worüber du Jacke und Hose ziehst, bevor du zur Arbeit gehst, und wenn du zurückkommst, den Schlafanzug, der ein chinesischer Skianzug sein könnte, und in dein Bett plumpst neben einer Person vom anderen Geschlecht mit ausladendem Hinterteil, eine Erfahrung die du mit so vielen teilst, daß es sogar ein besonderes Wort dafür gibt: "meine Frau", zur Kennzeichnung dessen, was du beim Anblick dieser toupierten Fransen empfindest, mit dem Duft des Parfums "Kolchosniza" in der Nase, der so tief in allem steckt, daß das Zimmer, worin vier Personen essen und atmen, an einen Frisörsalon am Tag von Stalins Beerdigung denken läßt, der übrigens ein todunglücklicher Mann sein muß, da er doch all seine Staats- und Parteiämter aufzugeben gezwungen ist wegen eines profanen Todesfalls, in dessen Folge sich plötzlich herausstellt, daß in jeden granitenen Hintern mühelos ein Maiskolben hineinpaßt, was man schon viel früher hätte wissen können, wäre nur ein bißchen Zeit zum Innehalten gewesen, die aber leider nicht zur Verfügung stand, nicht mal den Kindern, die mit ihren Schulranzen aussehen wie kleine Kosmonauten, gelandet und ausgesetzt auf dieser häßlichen Erde zum friedlichsten Zeitpunkt ihrer Geschichte, und die es in der kurzen Zeit ihres Hierseins schon geschafft haben, eine neue, unbegreifliche Welt um sich her zu errichten, eine von der du nie etwas wissen wirst, so daß es klüger wäre, sich den wenigen Freuden zuzuwenden, die das Leben noch zu bieten hat, und sich möglichst wenig aus dem Fenster zu lehnen, denn freiwillig aus dem Leben zu gehen ist Sache der Schwachen, Starke werden aus dem Leben gezwungen, und deine besten Jahre brechen doch gerade erst an...”




Nicht aus dieser Zeit - siehe alte Rechtschreibung - und auch nicht diesem Land, aber irgendwie doch zeitlos und universell. Leider nicht von mir..

Denkt an den letzten Satz... äh letzten Halbsatz natürlich!
Wanja

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